Werbefahrt zur Hölle
Wo im Fernsehn Traumhochzeiten gefeiert und Wunschkinder geboren werden, hat
die Sünde keine Konjunktur. Dem Inferno geht die Kundschaft aus, da brauchts
ein paar gute Ideen, um den Sünden-Verfall aufzuhalten. Mit der "Frommen
Helene" von Wilhelm Busch, dieser fein-ironischen Geschichte über
genußfreudige Scheinheiligkeit und boshafte Frömmelei, demonstriert
Luzifer (im Außendienst. Herr Theo Eufel) werbewirksam, wie schön
ein Leben in Sünde sein kann. Der Teufel am FWT ist Barbara Kratz. Sie
rezitiert Buschs gereimte Ballade als lehrreiche Moritat und spielt selber alle
Rollen: sie ist Helene und Vetter Franz, sächselt souverän als Tante,
hesselt als Onkel und ist zwischen den Szenen immer wieder der etwas heruntergekommene
Höllenfürst mit Bierbauch und Halbglatze, der als Bänkelsänger
zur Quetschkommode abgedrehte Schlager singt und die Handlung kommentiert.
"Die Fromme Helene" ist die dritte One-Woman-Show, mit der Kratz am
FWT zu sehen ist. Ihr excellentes Spiel macht den Abend zu einem wahrhaft himmlischen
Höllentrip: Helene, gottesfürchtig und gut, ärgert den Onkel,
heiratet aus Berechnung, betrügt ihren Mann mit Vetter Franz und trinkt
zum Gebet ganz gern Likör. Auf der Bühne kommt das alles sehr temporeich
und witzig daher, vor allem die zahlreichen effektvollen Stimmungswechsel
von romantisch zu diabolisch, von belehrend zu besoffen machen das Zuschauen
zum teuflischen Vergnügen. Von Zeit zu Zeit neigt die Regisseurin (Diana
Anders) zu kleinen Ausschweifungen, doch die machen bekanntlich am meisten Spaß:
Barbara Kratz ist Zarah und Britney, Marika und Marilyn und braucht dazu nur
ihr Talent und ein paar Requisiten. Von denen gibt es in der Aufführung
ziemlich viele, die meisten mit einem touch of heaven and hell: Pfarrerskragen,
falsche Zöpfe, Pilgerhüte und Kondome, die Bibel, G-Strings, rote
Pumps. Alle diese schönen Dinge werden nicht nur punktgenau eingesetzt,
sondern wirken auch kreativitätsfördernd. Indem sie zwar Anhaltspunkte
geben, die Szene aber nie vollständig ausstatten, bleibt für die Phantasie
des Publikums ein großer Teil Eigenarbeit übrig: in der Hölle
hängt eine Lack-Corsage, alle übrigen Freuden muß man sich selber
denken. Eine rundum gelungene Produktion, die zu Superlativen des Lobes anregt.
Stadtmagazin Einblick April 2002:
(...) Nun bringt Wirbelwind Barbara Kratz nicht nur Busch-Verse zu Gehör,
sondern ummantelt diese mit einem szenischen Gerüst. Dieser temperamentvolle
Monolog von mehr oder weniger 1001 Rollen ergibt eine mimisch und gestisch reiche
Inszenierung (alles in allem von Diana Anders), Slapsticks und Songs wechseln
einander ab, und die Vorhangwände mit ihren Klettflächen für
anzuheftende Requisiten spielen ausgiebig mit. Die besondere Wirkung des Abends
beruht auf einem ständigen Personenwechsel der Darstellerin, einmal besonders
kräftig gewürzt mit Anspielungen auf Zarah Leander, Marika Rökk,
Marilyn Monroe und Britney Spears. Der Handlungsrahmen "Teufel auf Erden"
gibt der 75minütigen Performance eine Klammer.
Theater-Rundschau Heft Nr. 4 April 2002:
The Devil is a Woman
Wilhelm Busch hats schwer. Kindergeschichten, schwarze Pädagogik,
biedermeierliche Gemütlichkeit, was wirft man ihm nicht alles vor. Ein
Dichter fürs Zitatenkästlein: man kennt ihn vom Hörensagen,
gelesen hat ihn kaum jemand. Seit Februar präsentiert das Freie Werkstatt-Theater
Köln Buschs "Fromme Helene" als Ein-Fraustück. Und siehe
da, Buschs Bildergeschichte hat weit mehr zu bieten als genügsame Selbstgerechtigkeit.
Hinter dem Understatement witziger Verse und einfacher Reime blitzt die Lust
an der Entlarvung auf. Ob Biederkeit oder großer Weltentwurf, bei Busch
bekommen beide ihr Fett weg. Wobei gerade das Menschlich-Allzumenschliche noch
jede Utopie zu Fall gebracht hat: Glaube und Frömmigkeit? Dazu liebt Helene
die Männer und den Alkohol viel zu sehr. Nächstenliebe? Lustvoll prügeln
Pilger einen Kutscher krankenhausreif. Heirat? Primär eine Konvention:
"Erstens will es so der Brauch, zweitens will mans selber auch".
Und deutlicher noch als die Sprache legen Buschs zugehörige Zeichnungen
den Finger auf die bürgerlichen Wunden.
Für die Produktion des Freien Werkstatt-Theaters hat die Regisseurin Diana
Anders den Text bühnentauglich eingerichtet. Buschs Geist der Unterwelt
hat sich zum Erzähler Theo Eufel gemausert, der in Moritatenmanier das
ereignisreiche Leben der frommen Helene erzählt. Barbara Kratz spielt ihn
als einen jovialen, ein wenig schmierigen Teufel zweiter Klasse mit Glatze,
Bauch und Rüschenhemd, der nun im Außendienst Werbung
für ein Leben in ewiger Verdammnis macht. Die "fromme Helene"
ist sein Lieblingskasus. Virtuos zündet Barbara kratz alias Theo Eufel
ein Feuerwerk der Verwandlung. Ein Zopf oder ein Pantoffel, eine Dialektfärbung
oder ein mimischer Ausdruck, kleinste Mittel genügen ihr, um einer Figur
Kontur zu geben. Und zwischendurch haut sie dem Zuschauer auch noch billigste
Schlager zur Quetschkommode um die Ohren.
Es ist altmodisches Theater im guten Sinne.Ein unterhaltsamer und kurzweiliger
Abend mit Kultcharakter. Die Nachfrage ist so groß, daß das Freie
Werkstatt-Theater inzwischen Termine bis Juni anberaumt hat.
Choices. Kulturmagazin Köln. April 2002